WWW oder Eselpflug? IT in einer zerknirschten Welt
Die Klage über die ungerechte Verteilung des Zugangs zu IT-Ressourcen ist scheinheilig.
Im Dezember 2003 diskutierten 11.000 Vertreter der IT-Branche, Politiker und Angehörige von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGOs) auf dem vom internationalen Telekommunikationsverband ITU veranstalteten „World Summit on the Information Society“ in Genf die globale Entwicklung der Informationstechnologie. Im Mittelpunkt sollte wieder einmal die leidige Frage der Zuständigkeit über die Kontrolle der Domainnamen im Internet stehen. Wer künftig die Hoheit über die „.coms“, „.orgs“ und anderen Kürzel haben wird, muss allerdings auf dem nächsten Branchengipfel in Tunis im November 2005 erneut diskutiert werden: Die den Vereinten Nationen unterstellte ITU will diese Aufsichtsaufgabe der derzeitigen Herrin der Domainnamen, der von der US-Regierung gegründeten, aber als Privatunternehmen organisierten ICANN, streitig machen.
Diese Frage wurde schon vor Eröffnung der Veranstaltung vertagt. In seinem einleitenden Vortrag stimmte UN-Generalsekretär Kofi Annan das bekannte Lamento über den so genannten „Digital Divide“ (digitale Bildungskluft) zwischen den reichen und armen Nationen dieser Erde an. Dieses Thema beherrschte dann die Konferenzdebatten, doch eine sinnvolle Bewertung der Möglichkeiten, welche die Informationstechnologien gerade ärmeren Ländern eröffnen, kam dabei nicht in den Blick.
Die selbstzerknirscht vorgetragene Klage über die ungerechte Verteilung des Zugangs zu IT-Ressourcen auf dieser Welt ist in mehrfacher Hinsicht scheinheilig. Zum einen scheut man sich, das handfeste Wirtschafts- und Machtgefälle beim Namen zu nennen, das dafür sorgt, dass ärmere Länder selbstredend auch von dieser Ressource weniger haben als andere. Lieber schwadroniert man stattdessen über sprachen-, kultur- und geschlechtsspezifische Diskriminierung im Netz – 70 Prozent der Webseiten dieser Erde sind englisch, Frauen haben weniger Zugang zu IT als Männer, und so weiter. Dabei bleibt die wirklich interessante Frage nach der Verbindung zwischen IT und Wohlstandsproduktion außer Betracht: Wie können Informationstechnologien auch in der Dritten Welt die Produktivitätsfortschritte erzeugen, die sie in den industrialisierten Ländern erzielt haben?
Diese Chancen der IT werden von NGOs selten diskutiert, denn hier legt man Wert darauf, ihre Entwicklung in der Dritten Welt auf das zu beschränken, was man als Therapeut-Opfer-Anwendungen beschreiben kann – also Anwendungen in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Gesundheitserziehung und e-Government. Anwendungen, die technischen und wirtschaftlichen Fortschritt bedeuten, wird dagegen wenig Wert beigemessen. NGOs, die heute in weiten Teilen der Dritten Welt das Sagen haben, neigen eher zu der paternalistischen Auffassung, dass ihre Schützlinge so etwas nicht brauchen.
So behauptet der CEO der britischen Intermediate Technology Development Group (ITDB), Cowan Coventry, es sei „nicht erwiesen“, dass IT für arme Menschen eine angemessene Technologie sei.1 Und in ihren „Praktischen Vorschlägen zur Armutsbekämpfung“ führt die ITDG aus, „wirklich bahnbrechende Technologie für die Dritte Welt ist ein Eselpflug“.2
Wie ihr Gründer E.F. Schumacher bevorzugt die ITDG alte Technologien, denn sie sind klein und daher schön. Sie meint sogar, neue Technologien schadeten den Armen dieser Welt – ganz so, als sei das Netz eine neue Form imperialer Weltherrschaft.3 Und damit steht die ITDG keineswegs allein. Geringes Vertrauen in die positiven Potenziale moderner Technologien ist im Westen allzu verbreitet.
Zweifellos ist die Umsetzung dieser Potenziale in der Dritten Welt nicht einfach. IT ist nach wie vor teuer, westliche Unternehmen verteidigen ihre IT-Schutzrechte mit Zähnen und Klauen und selbst der phänomenale Aufstieg einer IT-Metropole wie Bangalore in Indien kann die Armut auf dem Subkontinent nicht beheben. Aber mit IT lässt sich wirtschaftlich durchaus einiges erreichen – vorausgesetzt, man hört auf, immer nur ihre vermeintlichen Schattenseiten zu sehen.
Man betrachte zum Beispiel die Entwicklung der Telekommunikation in Afrika. Die algerische Regierung hat gerade einen ADSL-Breitbanddienst in Betrieb genommen. Man rechnet mit zunächst 10.000 Abonnenten. Kenia koordiniert an der afrikanischen Ostküste die Verlegung einer Kabeltrasse auf dem Meeresboden, die im Dezember 2006 fertiggestellt sein soll. Sie verbindet dann Djibuti, Mogadischu, Mombasa, Dar es Salam, Maputo und Sansibar und wird die Kosten der internationalen Telekommunikation in dieser Region voraussichtlich halbieren.4 Außerdem bietet die drahtlose Breitbandkommunikation aufgrund der vergleichsweise niedrigen Kosten gerade in Afrika große Möglichkeiten zur Besserung der völlig unzureichenden Kommunikationsinfrastruktur.
China gewinnt zurzeit raschen Anschluss an die modernsten CAD/CAM-Technologien für computergestützte Design- und Fertigungsverfahren. Schon jetzt nutzt Chinas größter Automobilhersteller First Auto Works in Changchun, ein Gemeinschaftsunternehmen von VW, Audi und FAW, CAD für die Herstellung von mehr als 300.000 Fahrzeugen im Jahr.
Nun plant das Reich der Mitte die Einführung von 300 universitären Einrichtungen für Industriedesign – gegenüber 53 in den Vereinigten Staaten. Da dürften bahnbrechende Innovationen in der CAD/CAM-Forschung bald folgen.
IT hat viel mit der Entwicklung von Produktivität und Wohlstand in den aufstrebenden und ärmeren Wirtschaften der Erde zu tun. Doch in Genf wie auf anderen Foren sind Domainnamen, Sprachen und Identitäten die beherrschenden Themen – ganz zu schweigen von Sicherheit und Datenschutz. Was hier globalisiert wird, ist nicht der wirtschaftliche Nutzen der Informationstechnik, sondern die westliche Kultur der Technik- und Wachstumsskepsis.
Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Reul, Textbüro Reul GmbH, Frankfurt am Main (www.textbuero-reul.de).
Anmerkungen
1 Rowan Coventry: „The role of technology in poverty reduction” in: South Asia Conference on Technologies for Poverty Reduction, Neu Delhi, Oktober 2003, www.itdg.org.
2 Spendenformular der ITDG: „Let me show you some real cutting edge technology“.
3 Rowan Coventry, op. cit., S. 2.
4 „Four incumbent telcos sign MoU on East African fibre project“ in: Balancing Act News Update, 184, 23.11.03, www.balancingact-africa.com.
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