Stillstand im Verkehr überwinden
Zur Reduktion von Treibhausgasen soll auf das Reisen verzichtet werden. Wir brauchen aber nicht weniger Verkehr, sondern mehr echte Innovationen
„Eine Gemeinschaft“, sagte der amerikanische Rock-Texter und Verteidiger der Internetfreiheit John Perry Barlow, „ist etwas, in dem man aufwächst, aus dem man ausbricht.“ Dazu muss man reisen, was jedoch alles andere als einfach ist. Dass etwa in den Städten immer mehr Menschen mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, lässt sich teilweise auf Kosten, Staus und den schieren Aufwand zurückführen, den PKWs und öffentliche Verkehrsmittel mit sich bringen. 1
Anstatt sich der Herausforderungen des Verkehrswesens anzunehmen, wendet sich die Elite seit 40 Jahren gegen die Idee des Reisens an sich. Während der Energiekrise 1973 und 1974 konnte der Priester und Schriftsteller Ivan Illich mit seiner These, hohe Geschwindigkeit steigere Ungleichheit, weltweit Anhänger finden. 2 1976 verkündete der amerikanische Weltraumforscher Jack Nilles, dass die Kommunikationstechnologie den Verkehr ersetzen würde. Er hoffte, das würde die durch den motorisierten Individualverkehr bedingte Suburbanisierung stoppen. 3
„Heute wird nach wie vor erfolglos versucht, die Nachfrage nach Transportmitteln zu senken“
Heute wird immer noch erfolglos versucht, die Nachfrage nach Transportmitteln zu senken. So warnt der Zwischenstaatliche Ausschuss über Klimaveränderung (IPCC), dass der Verkehrssektor schon bald der emissionsreichste sein könnte. Kommunikations- und Informationstechnologien und die Förderung regionaler Produktion sollen für weniger Verkehr sorgen. Laut einem Bericht der „Globalen Kommission für Wirtschaft und Klima“ (GCEC) 4 braucht es außerdem kompaktere Städte, um Autofahrten zu verkürzen. 5 Kleinere Städte, Fahrradfahren, Laufen oder einfach zu Hause bleiben: Solche energie- und umweltbewussten Maßnahmen stellen in den Augen von IPCC und GCEC Fortschritt dar. In ihrer Weisheit haben sie sogar ein dynamisches Konzept für Innovation im Transportwesen entworfen. Es geht um CO2-freie Technologien – doch da endet ihre Vorstellungskraft auch schon. Einmal mehr wird eine reaktionäre Verzichtsideologie als Fortschritt verkauft.
Vollbremsung im Transportwesen
Bei Umweltschützern, die den öffentlichen Diskurs dominieren, herrscht Misstrauen gegenüber Verbrennungsmotoren und Düsenflugzeugen. Autos sind laut der Internationalen Energieagentur (IEA) der Hauptgrund für die steigende Öl-Nachfrage. 6 Aus Sicht der Umweltschützer gilt es also, den Verkehr zu reduzieren. Durch die Motorisierung Indiens und vor allem Chinas wird sich der Ausstoß von Treibhausgasen nicht nur durch die Autoabgase selbst erhöhen, sondern auch durch die Autoproduktion und den Bau von Straßen und Infrastruktur. Der Lärm und die Verschmutzung, die Straßen- und Luftverkehr verursachen, bieten Nährboden für weitere Skepsis.
„Auch Elektroautos stehen unter Beschuss“
Nicht nur Verbrennungsmotoren, sondern sogar Elektroautos stehen unter Beschuss. Vor sieben Jahren verkündete die britische Labour-Regierung, dass das Vermeiden von Reisen dem Transport mit Elektroautos vorzuziehen sei. Kritiker bemängeln außerdem, dass Elektromotoren nur dann emissionsfrei sind, wenn sie durch Wind- oder Solarenergie betrieben werden. Auch die CO2-intensive Produktion dieser Motoren wird bemängelt. Andere befürchten mangelnde Kapazitäten zum Transport des Stroms.
Um das Flugzeug steht es auch nicht besser. So fordert derGuardian: „Luftverkehr muss jetzt und in Zukunft verringert werden“ 7, während Forscher der University of Southampton meinen, „Flüge müssen teurer werden, damit Verhaltensänderungen erreicht werden“. 8
„Wie die Meinungsfreiheit hat auch die Reise- und Transportfreiheit unter immer mehr Vorbehalten und Einschränkungen zu leiden“
Angesichts dieser Antipathie gegenüber Verkehr und Reisen ist es nicht verwunderlich, dass nur wenige Durchbrüche im Transportwesen fordern oder gar konkrete Projekte realisieren wollen. Wie die Meinungsfreiheit hat auch die Reise- und Transportfreiheit unter immer mehr Vorbehalten und Einschränkungen zu leiden.
Nehmen wir das Vereinigte Königreich, ehemals Vorreiter in Sachen Verkehr. Heute sind die Straßen in so schlechtem Zustand, dass der größte britische Verkehrsclub RAC eine App herausgebracht hat, mit der Fahrer den lokalen Behörden Straßenschäden melden können. Pläne für High Speed 2 (HS2), also eine neue Schnellzug-Strecke, kamen zu spät und waren wenig überzeugend, doch auch sie wurden reflexartig kritisiert. Wie wäre es mit einem neuen Flughafen, um Heathrow zu entlasten? Kann leider erst nach der nächsten Wahl geplant werden, so lange wird die Flughafenkommission brauchen, um einen Bericht abzuliefern, dessen Veröffentlichung sich schon seit Jahren hinzieht (manch einem mögen Parallelen zum Berliner Flughafen auffallen). Die Labour-Opposition will den Verkehr Städten und Kommunen überlassen, die Auftragsvergabe an private Akteure im Bahnverkehr überarbeiten, einen Höchstpreis für Bahntickets festlegen. Besonders visionär ist das alles nicht.
Es gilt, große Hindernisse zu überwinden: Der britische Staat belastet das Verkehrswesen jährlich mit rund 10 Milliarden Pfund an Benzinsteuern, Fahrzeugsteuern, Flugsteuern und Parkgebühren. 9 Doch wir sollten nicht vergessen, dass global gesehen die Nachfrage nach verlässlichen, bequemen Transportleistungen das Angebot noch immer bei weitem übersteigt.
Die Eliten sind von der Massenmobilität desillusioniert. Viele hoffen, dass „peak car“, also der Punkt, an dem es die meisten Autos weltweit gibt, zumindest was den Westen betrifft, schon hinter uns liegt. Die Zeitschrift Transport Reviews hat herausgefunden, dass mit allen Transportmitteln immer weniger Kilometer zurückgelegt werden. 10 Das US-Magazin Fortunefreut sich, dass die durchschnittlich mit dem Auto zurückgelegten Kilometer in den USA zwischen 2004 und 2014 um neun Prozent zurückgegangen sind. Ebenfalls zurückgegangen ist die Anzahl verkaufter Autos.
„Laut der US-amerikanischen Zeitschrift Fortune schadet unsere Abhängigkeit vom Auto ‚unseren Beziehungen, Finanzen und unseren Kindern‘“
Transport Reviews muss man zu Gute halten, dass sie fehlende Investitionen in die Infrastruktur als Hemmschuh für das Reisewachstum sehen. 11 Aber dem Öko-Prediger aus der Mittelschicht kann das egal sein. Er kann sich eine Wohnung im Stadtzentrum leisten, braucht kein Auto, sondern läuft zur Arbeit oder fährt Fahrrad. Dabei beruft er sich auf die Verhaltensökonomen Daniel Kahneman und Alan Krueger, die 2010 feststellten, dass Pendeln besonders unerfreulich sei. Er sagt seinen Mitmenschen, dass sie ihre geistige und körperliche Gesundheit gefährden, wenn sie aus der Vorstadt zur Arbeit fahren. Er will, dass Autofahrer ihre schlechte Gewohnheit ablegen. In den Worten von Fortune: Unsere „Abhängigkeit“ vom Auto schadet „unseren Beziehungen, unseren Finanzen und unseren Kindern.“
Utopien statt praktischer Erfindungen
Paradoxerweise entwickelt sich parallel zu diesem Verkehrsbashing eine seltsam utopische Vorstellung von Innovationen in der Transportbranche. Natürlich gibt es einige konkrete Neuerungen, zum Beispiel die Crossrail-Linie, die ab 2018 das Londoner Schienennetz um über 100 Kilometer verlängern soll. Jedoch bewegt sich der Fortschritt im Verkehrswesen viel langsamer als etwa in der IT-Branche.
Momentan bekommen utopische Hirngespinste mehr Aufmerksamkeit als konkrete Durchbrüche in Forschung und Entwicklung (F+E). Besonders in Europa und in den USA fließt viel Geld in die verkehrsnahen Sektoren Verteidigung und Raumfahrt (gemessen an den Ausgaben für F+E geteilt durch Verkaufszahlen). In Europa und Japan stecken auch Autobauer in F+E. Doch selbst in diesen drei wichtigen Sektoren sind die F+E-Ausgaben niedriger als in der IT-, Pharma- und Unterhaltungsbranche.
EU, 527 | US, 658 | Japan, 353 | Welt, 2000 | |
Pharma und Biotechnologie | 13,9 | 15,8 | 13,2 | 14,4 |
Software und IT-Dienste | 12,6 | 11,5 | 4,8 | 9,9 |
Hardwaretechnologie | 14,5 | 8,8 | 6,1 | 7,9 |
Freizeitartikel | 3,3 | 5,3 | 6,7 | 6,3 |
Luft & Raumfahrt / Rüstungsindustrie | 6,0 | 3,0 | 4,5 | |
Elektrotechnik | 4,8 | 4,3 | 5,2 | 4,3 |
Autos und Autoteile | 5,1 | 3,7 | 4,3 | 4,2 |
Medizintechnik und Dienste | 3,6 | 3,9 | 6,9 | 4,1 |
Industrietechnik | 3,5 | 3,0 | 2,0 | 2,8 |
Chemie | 2,0 | 3,4 | 3,9 | 2,7 |
Allgemeine Industrie | 5,1 | 3,1 | 2,2 | 2,5 |
Finanzwesen | 1,8 | 2,0 | ||
Festnetz-Telekommunikation | 1,5 | 1,1 | 2,5 | 1,7 |
Lebensmittelindustrie | 1,5 | 0,9 | 1,5 | 1,3 |
Öl- und Erdgasförderung | 0,3 | 0,3 | 0,2 | 0,3 |
Summe (40 Sektoren) | 2,6 | 4,9 | 3,5 | 3,2 |
Abbildung 1: Ausgaben für Forschung und Entwicklung der 2000 Topinvestoren der Welt, nach Sektor und Region. Quelle: IEA. 12
Die Bereitschaft, in Forschung zu investieren, ist in der Transportbranche, das heißt bei Infrastruktur-, Eisenbahn-, Werft- und Betreiberunternehmen, viel niedriger als bei Autobauern und Luft- und Raumfahrt-Konzernen. Staatliche Budgets für Forschung und Entwicklung im Verkehrsbereich wirken planlos, schlecht dokumentiert und erbärmlich klein. 13
„Prinzipiell ist der zeitgenössische Kapitalismus zu Innovation fähig“
Der zeitgenössische Kapitalismus ist prinzipiell zu Innovation fähig. Doch obwohl es seit dem absurden Ende der Concorde im Jahre 2003 wenig Revolutionäres und Praktisches gab, mangelt es nicht an utopischen Träumereien. Nur drei Jahre nach der Finanzkrise von 2008 verkündete die britische Regierung, dass innerhalb von gerade einmal 26 Jahren der CO2-Ausstoß neuer Autos nahe null liegen könnte. In den USA ist es nicht anders. Barack Obama versprach in seinem Wahlprogramm 2008, in sechs Jahren würden eine Million Hybrid-Elektroautos auf amerikanischen Straßen fahren. Tatsächlich sind es eine Viertelmillionen Fahrzeuge, mit einem Drittel der versprochenen Leistung.
Der Wert der Taxi-App Uber wird auf groteske 18,2 Milliarden Dollar geschätzt, Tesla Motors, das Unternehmen des südafrikanischen Königs der Elektrofahrzeuge, Elon Musk, auf 30 Milliarden Dollar. Das ist mehr als die Hälfte des Wertes, für den General Motors gehandelt wird. Und das, obwohl Tesla im Jahr weltweit nicht mehr als 30.000 Autos verkauft, verschwindend wenig im Vergleich zu den 70 Millionen Autos, die weltweit jährlich gekauft werden. Musks anderes Unternehmen SpaceX will wiederverwendbare, vertikal landende und startende Raketen produzieren. Damit wird es möglich sein, in weniger als vier Stunden von London nach Sydney zu fliegen, glaubt die Financial Times.
Von solchen Reisen kann man träumen, aber Realität wird das in nächster Zeit wohl kaum. Kommentatoren schwärmen von selbstfahrenden Autos und unterschätzen die verbleibenden gesetzlichen und gesellschaftlichen Hürden. Es wird über Flugzeuge spekuliert, die beim Start und sogar im Flug elektronisch angetrieben werden. Und um mit Wasserstoff betriebene Autos, etwa von Toyota, Daimler, Ford und Nissan, entspinnt sich ein Riesenhype. Schließlich glaubt man, nicht nur im Westen, sondern auch in Indien, dass Videokonferenzen bald persönliche Treffen, und somit Reisen, ersetzen werden.
Um technologische Faulheit und utopische Wunschträume zu überwinden, braucht es politische Unterstützung. Weder unterbewusste Manipulation durch „nudging“ hin zu weniger mobilen Lebensweisen, noch technologische und ökonomische Fantasien von fiktiven Revolutionen der Verkehrstechnologie können den Wandel, den wir so dringend brauchen, liefern. Wir brauchen langfristige Unterstützung für Investitionen und Innovationen sowie starke Argumente für Mobilität. Im Folgenden werden sechs solcher Argumente vorgestellt.
1) Die Nachfrage nach Verkehrsmitteln kann nicht verringert werden.
Um die mit großen Projekten und Innovation in der Fortbewegung verbundenen Risiken zu vermeiden, versuchen die Eliten, die Nachfrage nach Verkehrsmitteln zu verringern. Deswegen ist das Internationale Transportforum (ITF) auch so verrückt nach Straßenverkehrsmitteln auf zwei Rädern. 2050 sollen weltweit zwei und nicht drei Milliarden Autos fahren. Das ITF hält die Alleinherrschaft von Mopeds über die Straßen Taipeis für ein „Extrembeispiel“ für die Art von Low-tech-Verkehr, der sich in ganz Asien durchsetzen soll. Chinas einzigartige Einführung von Elektrofahrrädern habe etwa 200 Millionen Menschen geholfen, obwohl diese, zumindest in Shanghai, maximal 15 Kilometer pro Stunde fahren dürfen. Wie das ITF eingesteht, es gibt aber „erhebliche Unterschiede“ zwischen Fahrrädern und Autos, was „Größe, Sicherheit, Komfort, Ladefläche und Auswahlmöglichkeiten“ angeht. Fahrräder schützen weder vor dem Wetter noch vor den Gefahren des Straßenverkehrs. Sie sind nicht besonders gut für Senioren, Kinder, Familien, oder viel Gepäck geeignet.
Komfort und möglichst wenig Anstrengung sind wichtige Faktoren für das Reisen – obwohl das ITF gerne betont, dass zwei Räder „für manche Aufgaben genügen“. Vom Versuch, mit Hilfe von zweitklassigen Fortbewegungsmitteln für weniger Autos zu sorgen, ist es nur ein kleiner Schritt hin zur Begrenzung des Lebensmitteltransports. In ihrer Zeit als britische Umweltministerin wies die Tory-Politikerin Liz Truss öffentliche Catering-Manager an, aus lokaler Produktion zu kaufen. Der Minister für Kabinettsangelegenheiten Francis Maude fügte hinzu, dass dies der richtige Weg sei, um „die Umweltkosten, die beim Transport von Essen entstehen, abzubauen“. Es sieht nicht so aus, als würden Subventionen für lokale Produkte Menschen davon abhalten, Essen aus dem Ausland zu wollen. Das hindert die Kritiker jedoch nicht daran, in ihrem Kreuzzug gegen Schiffe, Flugzeuge und LKWs weiter auf den Verzicht der Massen zu pochen.
„Um Mobilität zu bekämpfen, wird behauptet, Kommunikation könne Reisen ersetzen“
Wie wir gesehen haben, gibt es noch einen dritten Weg, die Mobilität zu bekämpfen: Man behauptet munter, Kommunikation könne Reisen ersetzen. Aber das ist lächerlich. Telefonkontakt führt zu mehr Geschäftsreisen, nicht weniger. Das Internet lässt Menschen mehr Reisen buchen, nicht umgekehrt. Ursprünglich zur Orientierung in der Luft und zur Vermeidung von Kollisionen entwickelt, unterstützt Informationstechnologie offensichtlich den Verkehr, kann ihn aber nicht ersetzen. IT macht den Sektor produktiver, sicherer, macht die Organisation einfacher, verhindert Staus und hilft Passagieren. Straßen, Schienen und Flüge können besser überwacht und kontrolliert werden. IT kann persönlichen Kontakt unterstützen, aber nie ersetzen. Ein Video ersetzt keinen Krankenwagen, ein Hologramm ersetzt keinen Gütertransporter. 14
Im Schienenverkehr wird IT durch Passagiere bereits intensiv und produktiv genutzt. Bald sollen auch im Flugzeug alle möglichen persönlichen Kommunikationstechnologien erlaubt sein. Fahrerlose Autos werden eines Tages dasselbe ermöglichen. Trotz all dieses Potentials versuchen Umweltschützer ohne Unterlass, die IT zum Reiseersatz zu stilisieren. Deshalb ist technologischer Fortschritt keine Priorität mehr und sogar bei IT-Applikationen im Verkehrswesen geht der Ehrgeiz verloren. In altbekannter Öko-Manier kritisiert ein Professor der riesigen britischen Fernuni Open University, dass der Erfolg technologischer Neuerungen im Bereich treibstoffeffizienter Fahrzeuge und CO2-freier Treibstoffe eine „Gefahr“ für die Gesellschaft sei. Er befürchtet, dass das „Nachfrage-Management“ aus dem Auge verloren wird und mehr Menschen mit dem Auto fahren.
„Das wahre Problem ist nicht zu viel Innovation, sondern zu wenig“
Der technologische Fortschritt führt vermeintlich zu zerstörerischem individuellen Verhalten und schlechten politischen Entscheidungen. Aber das wahre Problem ist nicht zu viel, sondern zu wenig Innovation bei effizientem Treibstoff und Fahrzeugen. Es hat mehr als dreißig Jahre gedauert, den Treibstoffverbrauch eines durchschnittlichen amerikanischen Autos um die Hälfte zu reduzieren. Auch bei CO2-neutralen Biotreibstoffen geht es nur langsam voran. In Sachen Batterien hat Tesla Motors einen Sprung nach vorne geschafft, aber eine Batterie kostet immer noch 15.000 Dollar. In allen Bereichen sind Effizienzsteigerungen durch das zweite Gesetz der Thermodynamik beschränkt. Zusätzlich bringt Jevons Paradoxon, auch als Rebound-Effekt bekannt, Menschen dazu, mit effizienten Verkehrsmitteln mehr zu reisen, nicht weniger. 15
Genauso wenig werden dichter besiedelte Gebiete den Verkehr reduzieren. Seit einem Jahrhundert wird weltweit auf Infrastruktur und Technologie gesetzt, die auf fossilen Brennstoffen beruht. Sicher könnte man versuchen, durch Bebauungsbeschränkungen und Bauvorhaben die Bevölkerung in den Stadtkernen zu konzentrieren, aber dadurch könnten die Kosten nicht wettgemacht werden, die beim Verzicht auf Autos und Lastwagen entstehen würden. Auch das Geld und der politische Rückhalt für solch einen enormen Umbruch fehlen. Und die schiere Masse an Umbauten, die notwendig wären, um autofreie Städte zu schaffen, würde sicher ihrerseits wiederum auf den Widerstand von Umweltaktivisten treffen.
In Anbetracht weltweit wachsender Märkte, Bevölkerungen und Städte erwartet der ITF, dass die Nachfrage nach Transportmitteln bis 2050 „dauerhaft und rapide ansteigen wird“ und die Infrastruktur „an ihre Grenzen stoßen wird“. Gerade die gegenwärtige wirtschaftliche Stagnation wird dazu führen, dass die Verkehrsbranche immer wichtiger wird. „Falls Wachstum weniger von Investments dominiert wird, gewinnt die Rolle geringer Handelskosten durch Kommunikation, Reisen und Frachttransport an Bedeutung“, so das ITF.
„Die Nachfrage nach Mobilität ist höher als das Angebot“
Einige der asiatischen Infrastrukturprojekte sind Fantasie. Doch die Tatsache, dass die Nachfrage nach Mobilität höher ist als das Angebot, wird nicht einfach verschwinden. 16 Verkehr braucht Innovation, nicht weil Innovation zwangsläufig gut ist (man denke nur an Segways), sondern weil Milliarden von Menschen sich fortbewegen wollen, und zwar bequem und schnell. Abstriche bei der Mobilität zu machen, um den Klimawandel zu stoppen, blendet unsere Fähigkeit aus, technologische Lösungen für dieses Problem zu finden. Es ist ein verzweifelndes, gestaltungsmüdes Requiem für die Menschheit.
2) Die gleichzeitige Entwicklung von Verkehrs- und Kommunikationstechnologie bedeutet Fortschritt
Historisch gesehen hat uns das Transportwesen das Rad und das Segelschiff ermöglicht. Aber Innovation wurde erst dann wirklich systematisiert, als der Kapitalismus den Weltmarkt eröffnete. Seither gehen Entwicklungen des Transportwesens Hand in Hand mit der Entwicklung von Kommunikationstechnologien.
Heute zu behaupten, dass IT das Verkehrsaufkommen reduziert, ist geschichtsblind. IT ergänzt und unterstützt den Verkehr, weil beide von der Globalisierung angetrieben werden. Dampfzüge legten die Grundlage für die Telegrafie, die wiederum genutzt wurde, um den Zugverkehr effizient und sicher zu organisieren. Nachdem 1866 das erste zuverlässige transatlantische Kabel gelegt wurde, wurde 1874 auf Bestreben Deutschlands und Amerikas der Weltpostverein gegründet. Neben der Telekommunikation spielte auch die Verbreitung von Briefen und Zeitungen eine wichtige Rolle bei der Entstehung mehr oder weniger objektiver Preislisten und internationaler Währungsumtauschraten 17.Ohne Verkehrs- und Kommunikationstechnologien wäre es heute nicht einmal möglich, die Preise zweier Supermarktketten zu vergleichen.
„Durch die globalen Verkehrsströme wird Luxus zum Standard“
Die globalen Verkehrsströme sorgen auch dafür, dass Luxus zum Standard wird. Wenn für den Durchschnittsbürger sonnengetrocknete Tomaten erschwinglich sein sollen, darf der Transport aus der Mittelmeerregion nicht allzu teuer sein. Auch Vergnügungsreisen werden immer mehr Menschen zugänglich. In den letzten Jahrzehnten konnten wir beobachten, wie das Auto zum Freizeitzubehör wurde und immer mehr Menschen von billigen Pauschalreisen und preiswerten Flügen profitierten.
Seit dem Amerikanischen Bürgerkrieg (1861–1865) spielen Transporttechnologien eine wenig rühmliche Rolle bei der Kriegsführung. Wir sollten dennoch nicht übersehen, dass Mobilität vor allem Fortschritt bedeutet. Der Einfluss des Schienenverkehrs auf das Wirtschaftswachstum in den USA und Großbritannien wird von Verkehrshistorikern seit Jahrzehnten heftig diskutiert. Dennoch steht es außer Zweifel, dass in diesen beiden Ländern, wie auch anderswo, die Industrialisierung untrennbar mit der Erweiterung des Schienennetzes und somit dem Fracht- und Personenverkehr verbunden war.
Feindschaft gegenüber der Mobilität bedeutet Feindschaft gegenüber der Schöpfung von Wohlstand an sich. Neben den ökonomischen Argumenten ist offensichtlich, dass mit persönlicher Freizügigkeit auch politischer Fortschritt einhergeht. Sich auf der Welt zu bewegen ist ein universelles Bedürfnis und, wie unzählige Entdecker gezeigt haben, ein menschliches Talent. Mobilität erweitert den Horizont und erlaubt Menschen, ihr provinzielles Umfeld zu verlassen. Auch ihr Beitrag zur Innovation ist beträchtlich. Die europäischen Väter des Wechselstroms, Nikolai Tesla und Charles Steinmetz, mussten ihre Entdeckung per Luft- und Seeweg befördern. Elon Musk, Gründer von Tesla Motors, hätte seine Erfolgsgeschichte nicht schreiben können, wäre er in Südafrika geblieben.
3) Beim Verkehr geht es in erster Linie um Geschwindigkeit
Wann immer Piloten vor dem Start verkünden: „Sicherheit ist unsere erste Priorität“, lügen sie. Die erste Priorität im Transportwesen ist, von A nach B zu kommen, nicht Energie zu sparen oder Leben und den Planeten zu retten. Sicherheit ist wichtig, aber nicht das oberste Ziel. DerGuardian warnt, Chinas mögliche Beteiligung an Bau und Betrieb von Schnellzügen in Großbritannien sei problematisch, da die Chinesen eine „durchwachsene Vergangenheit in Sachen Sicherheit“ hätten. Stimmt das? 2011 starben beim Zusammenstoß zweier Schnellzüge auf der Yongtaiwen-Strecke im Vorort Wenzhou 40 Menschen, 200 weitere wurden verletzt. Es war eine Katastrophe. Aber täglich benutzen zwei Millionen Fahrgäste die chinesischen Schnellzüge. Unglücke wie das von Wenzhou bleiben auf einem 10.000 Kilometer langen Streckennetz, das durch 100 Städte führt, extrem unwahrscheinlich. Der langsamere Straßenverkehr wird in China von mehr Menschen genutzt, führt jedoch täglich zu etwa 265 Unfalltoten.
Sobald der Kapitalismus einen Weltmarkt etabliert, ist für einzelne Märkte nicht mehr relevant, wie weit sie voneinander entfernt sind, sondern wie lange man dorthin braucht. Weswegen das Maß „Geschwindigkeit“ – also Entfernung durch Zeit – eine zentrale Rolle für die Produktivität von Verkehrswegen spielt. Ein Maß, dessen Genauigkeit der vagen Ermittlung von Emissionen immer überlegen sein wird.
In den letzten Jahren haben Journalisten und sogar Fahrzeugdesigner angefangen, in Einklang mit dem feministischen Zeitgeist schnelle Autos als „aufregend, besonders für Männer“ und deren Fahrer als „testosterongesteuerte Hedonisten“ zu verdammen. Aber Geschwindigkeit hat nichts mit Testosteron zu tun. Neue Rekorde aufzustellen grenzt den Homo sapiens vom Tier ab. Geschwindigkeit hat Sport, Wissenschaft, Technologie und Kunst inspiriert. 18
„Innovationen, die schnelleren Transport ermöglichen, helfen uns, menschlicher zu sein“
Geschwindigkeit heißt, schneller bei seinen Freunden, der Familie oder auf der Arbeit zu sein. Innovationen, die schnelleren Transport ermöglichen, sind nicht bloß Fetisch von Rennsportfreaks wie Jeremy Clarkson (ehemaliger Moderator der BBC-Sendung „Top Gear“). Sie helfen, schneller nach Hause zu kommen, früher seine Lieben zu umarmen, eher einen Brand zu löschen. Kurzum: Sie helfen uns, menschlicher zu sein.
Das heutige Transportwesen ist von „Finanzialisierung“ in Form von dubiosen öffentlich-privaten Partnerschaften geprägt. Diese verhindern Innovationen, anstatt sie zu fördern.
4) Verkehr ist Teil der Produktion. Doch selbst in Asien stockt die Innovation
Transport realisiert den Wert von Produkten, die nicht vor Ort verkauft werden können. Einfache Produkte – Rohstoffe, Industrieerzeugnisse, Bauprodukte, Landwirtschaftsprodukte – werden zu Gütern auf dem Warenmarkt, mit einem neuen Nutzwert auf Grund ihres neuen Standortes. In diesem Sinne ist der Transport ein direkter Teil der Produktion, etwa als Förderung von Erzen von Untertage an die Oberfläche. Transport ist eine produktive Kraft, eine der allgemeinen Bedingungen für andere Formen der Produktion. Außerdem wird einem Gegenstand Mehrwert verliehen, indem er an den Ort befördert wird, wo er gebraucht wird. 19
All die Arbeit, die notwendig ist, um ein Produkt auf den Markt zu bekommen, ist im Prinzip eine Barriere, die das Kapital überwinden will. Dies gilt für Arbeiter genauso wie für Güter und Dienstleistungen, denn auch deren Transport ist ein Teil des Produktionsprozesses. Trotzdem sind immer weniger Arbeitskräfte in London mit dem Schienenverkehr in der Hauptstadt zufrieden und eine Mehrheit glaubt, dass sich der Zustand der Londoner Straßen verschlechtert (mit Recht, wie Studien gezeigt haben). Trotz aller Verbesserungen beim über- und unterirdischen Schienenverkehr in den letzten Jahren fällt es der Hochburg des englischen Kapitalismus immer noch schwer, seine Arbeiter pünktlich zur Arbeit zu bringen.
„Naive Hoffnungen in die IT zu setzen, bringt uns nicht weiter“
Für die Unternehmer des 19. Jahrhunderts waren Fracht- und Passagiertransport Bereiche immenser technologischer Innovation. Heute scheint dieser Erfindergeist auf das Silicon Valley beschränkt. Der Vorstandsvorsitzende der Airbus Group, Thomas Enders, gestand den Stillstand in seiner Branche ein: „Es ist offensichtlich Zeit für unsere Industrie, sich der digitalen Welt zu öffnen.“ Eine Welt, die sie, wie er andeutet, größtenteils ignoriert hatten. Aber naive Hoffnungen in die IT zu setzen, bringt uns nicht weiter. Passagiere können vielleicht bald durch interaktive Bildschirme statt durch Fenster nach draußen schauen. Aber nur um Gewicht und damit Treibstoffverbrauch zu minimieren, nicht um schneller zu fliegen. Wie die Financial Times anmerkte: „Dies ist das Zeitalter der geschrumpften Erwartungen an die Luftfahrt“.
Innovation findet heute, sowohl im Bereich Mobilität als auch in anderen Bereichen, in Asien statt. Aber selbst Asien scheint damit Probleme zu haben. Japan, unter den Besten in Sachen Autos und Schnellzüge, hält sich aus der Luftfahrt komplett raus. Bei China sieht es ähnlich aus: 2013 wurden dort 18,1 Millionen Autos produziert, herausragend im Vergleich zu Japans 8,2 Millionen, Deutschlands 5,4 Millionen und 4,4 Millionen in den USA. Chinesische Schnellzüge wurden für insgesamt 26 Milliarden Dollar in die Türkei, Nigeria, oder nach Angola exportiert. Hongkongs MTR Corporation betreibt eine U-Bahn-Linie, auf der überall unter Hongkong 4G-Mobilnetzwerke verfügbar sind. Trotzdem werden in China kaum einheimische Autos gekauft und Großraumflugzeuge werden wohl bis mindestens 2020 importiert werden müssen.
Wenn nicht einmal Asien, die Werkstatt der Welt, Innovation im Verkehrswesen schafft, dann sollte das den Rest den Rest der Welt antreiben, seine Anstrengungen zu verdoppeln. IT-Enthusiasten des Westens begeistern sich für technologische Neuerungen wie das iPhone 7 und wünschen, sie könnten sie schon früher in den Händen halten. Innovationen beim Transport könnten diesen Wunsch erfüllen.
5) Staatliche Intervention bedeutet Regression
Bis zum 19. Jahrhundert wurden große Verkehrs-Projekte unter der Ägide des Staates durchgeführt. Die Privatisierung des Transportwesens im 19. Jahrhundert war ein Zeichen kapitalistischer Dynamik. In dieser Zeit waren es vor allem Eisenbahn-Unternehmen, die in Amerika den allgemeinen Handel, die Kapitalisierung von Unternehmen und bedeutende Entwicklungen im Management, in der Buchhaltung, im Vertrieb und in der Kommunikation vorantrieben. 20
Damals waren die Dinge noch relativ unkompliziert. Um Gewinn zu machen, musste der kapitalistische Schienenbauer einen Mehrwert aus der aufgewendeten Arbeitskraft erwirtschaften. Das war wichtig, weil etwa eine Brücke nicht sofort verkauft werden kann, wie es bei Eisen oder einer Jacke der Fall ist. Marx schrieb: „Durch Schutzzölle, Monopole und Staatszwang erzwingt der Kapitalist oft diese Bezahlung“. 21 Das trifft auch heute noch zu.
„Um wichtige Verkehrsprojekte durchzuführen, muss es um den Wohlstand einer Nation gut bestellt sein“
Traditionell muss es um den Wohlstand einer Nation gut bestellt sein, damit diese ein wichtiges Verkehrsprojekt durchführt. Daher müssen die Niederlande, trotz eines wachsenden Flughafens in Schiphol, viele Jahre auf einen direkten Schnellzug nach London warten. Hinzu kommt, dass eine solche Verkehrsverbindung genug kommerziellen Verkehr über genug Jahre braucht, um Abnehmer für Frachtgut zu einem Preis zu finden, der sich für den Betreiber rentiert. Um Transportinfrastruktur in einem Maßstab zu bauen, der der Nachfrage gerecht wird, muss ein Unternehmer also eine große Zahl an Arbeitern und eine kleinere Zahl an untergeordneten Projektmanagern mobilisieren und deren Wirkung vervielfachen. Deshalb sind Arbeitgeber in diesem Bereich meist große börsennotierte Unternehmen wie WS Atkins oder Ferrovial. Anders als die meisten kleineren Unternehmen haben sie ausreichend Kapital zur Finanzierung von Innovation und prinzipiell auch Interesse daran. Und wenn der erste, der sich an einem Großbauprojekt versucht, pleitegeht, wie es so oft der Fall ist, kann der nächste durch den folgenden Wertverlust vielleicht ein profitables Geschäft daraus machen.
„Verkehrsverbindungen sind eine Art gebundenes Kapital“
Wie Maschinen sind Verkehrsverbindungen eine Art gebundenes Kapital. Gebunden als Investition in den Produktionsprozess. Als solche waren sie historisch ein Schwerpunkt des technologischen Fortschritts. Die Tatsache, dass sie in der Freizeit für Ausflüge genutzt werden konnten, gab weiteren Anreiz für Kostensenkungen. Diese Vorteile wurden dadurch ergänzt, dass Frachttransporter ebenfalls eine Art gebundenes Kapital sind. Doch etwas hat sich geändert. Der Staat musste immer wieder eingreifen, um die Schwächen der Privatwirtschaft in diesem Sektor zu kompensieren. Zuerst hat der Staat dabei einige positive Aspekte des kapitalistischen Erfindungsgeistes übernommen, nun befindet er sich in einer neuen Phase pedantischer Intervention und Finanzialisierung.
Die Verabschiedung des London Passenger Transport Act 1933, der viele schwächelnde private Verkehrsunternehmen in London verstaatlichte, ist Symbol für den Verfall des englischen Kapitalismus. Selbst während des Nachkriegsbooms in Amerika finanzierte der Staat das National Interstate and Defense Highway System (Autobahnen), auch wenn das, wie der Name andeutet, aus militärischen Gründen geschah. Genauso baute die britische Regierung Autobahnen, weil sie sich zuständig sah. Aus Autobahnen kann man zwar keinen Profit machen, aber die Amtsträger waren sich damals sicher, dass sie den nationalen Wohlstand mehren würden.
Heute ist das anders. Die Brücken in Wales und England gehören dem Staat, doch sie werden von einer privaten Firma betrieben, deren Maut mit der allgemeinen Inflation schritthält und die die dazugehörigen Schulden trägt. Wie die Sache geregelt wird, wenn 2018 der Vertrag ausläuft, weiß keiner so genau. Im Schienenverkehr sieht es noch schlimmer aus. Nach einer Reihe verpatzter Privatisierungen Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts wurde es so schwer, mit Bahnverbindungen Gewinn zu machen, dass der Staat mehrmals eingreifen musste, etwa im Fall der Londoner U-Bahn, nachdem eine öffentlich-private Partnerschaft gescheitert war. Tatsächlich ist das regulatorische und organisatorische Chaos in solchen Mischsystemen größer als in einem vollkommen verstaatlichten Transportsystem.
„Staatliche Interventionen verfolgen heute das Ziel, Projekte zu verlangsamen“
Staatliche Interventionen verfolgen heute nicht mehr das Ziel, Projekte zu verwirklichen, sondern sie zu verlangsamen. In einer Kultur, die der Mobilität skeptisch gegenübersteht, wird der Staat (nicht unbedingt bewusst) versuchen, sie zu erschweren. So hat das britische Verkehrsministerium 18.000 Mitarbeiter, obwohl es anscheinend nichts tut. Seine Aufgabe ist es, den Verkehr zu kontrollieren, nicht ihn zu fördern. Das erklärt auch, warum die fünf bedeutenden Großkanzleien Großbritanniens alle Geschäftszweige haben, die von staatlich finanzierter Verwirrung rund um Recht und Verkehr profitieren.
Wenn heute in fast jedem Land der Staat in die Verkehrsinfrastruktur involviert ist, dann ist das ein Zeichen der Schwäche des Kapitalismus. Nehmen wir etwa das sehr marktwirtschaftliche Taiwan. Dort könnte die erste private Schnellzugstrecke der Welt, die über 40 Millionen Passagiere im Jahr bewegt, verstaatlicht werden, weil die Schulden der Betreiber so groß sind.
Statt von Innovation wird das Transportwesen von dem beherrscht, was auch als „Finanzialisierung“ bekannt ist. Dabei geht es nicht nur um die oben erwähnten Zölle. Wieder sind dubiose öffentlich-private Partnerschaften der Schlüssel. Seit März 2010 gibt es rund 61 solcher Partnerschaften im Vereinigten Königreich. Deren Kapitalkosten allein belaufen sich auf fast acht Milliarden Pfund. Ein weiteres Beispiel für die verwaschene Grenze zwischen Staat und Privatwirtschaft sind staatlich festgelegte, an die Inflation angepasste, Bahnpreise. Diese werden nur selten kontrolliert, sodass die Betreiber entscheiden können, ob sie die staatlichen Vorgaben überschreiten wollen oder nicht.
Daraus resultieren Willkür, Verwirrung und Unzufriedenheit bei Passagieren sowie Aufträge für große Anwalts- und Wirtschaftsprüfungskanzleien. Schlimmer noch, trotz der Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des Kyoto-Protokolls (1997) und des europäischen Emissionshandels sollen Marktmechanismen mit staatlicher Unterstützung verkehrsbedingte Emissionen reduzieren. EU-Emissionssteuern auf Flüge etwa sorgen international für Unmut, sollen aber trotzdem umgesetzt werden.
„Heute gibt es in Ländern wie Großbritannien statt Innovation, unzufriedene Passagiere und Rechtsstreitigkeiten“
Unsere Analyse der Rolle von Staat und Finanzen im Transportwesen kommt keineswegs zu dem Schluss, dass der Staat Großbauprojekte nicht subventionieren sollte. Adam Smith besteht im Buch „Wohlstand der Nationen“von 1776 darauf, dass, falls Mautgebühren usw. nicht ausreichen, „das Defizit in den meisten Fällen durch die allgemeine Beteiligung der Gesellschaft“ (also durch den Staat) ausgeglichen werden muss. Wir vertreten jedoch hier die These, dass Länder wie Großbritannien momentan das Schlechteste von beiden Welten abbekommen. Es gibt weder den kapitalistischen Ehrgeiz zur Innovation, noch das großzügige Budget eines Eisenhowers, Macmillans oder Wilsons. Stattdessen gibt es Chaos, unzufriedene Passagiere und Rechtsstreitigkeiten.
6) Wir brauchen mehr Züge und Flugzeuge, nicht weniger
Der britische Publizist Christian Wolmar ist ein einfluss- und wissensreicher Kommentator zum Thema Schienenverkehr. Seine Kritik des neuen Schnellzugprojekts HS2 verdient also Aufmerksamkeit. Das fundamentale Problem, so Wolmar, ist sein Ursprung als Beruhigungspille für Umweltschützer, was die Planung und Entwicklung maßgeblich beeinflusst hat. Bezeichnend ist auch, dass die Labour-Regierung im März 2010 zu HS2 berechnete, es sei genauso wahrscheinlich, dass die CO2-Emissionen durch das Projekt erhöht würden, wie dass sie gesenkt würden.
Ähnlich wie die vielen Begründungen für den Irakkrieg haben sich die Argumente für HS2, wie Wolmar skizziert, von Umweltschutz über Zeitersparnisse und mehr Kapazitäten für Passagiere bis zur Lösung des Nord-Süd-Gefälles im Vereinigten Königreich gewandelt. Menschen, die wegen des Projekts ihre Häuser räumen müssen, bekommen eine winzige Entschädigung, die laut Wolmar in „unergründlichen“ Gesetzen geregelt wird. Die Berater für dieses Projekt bilden eine spezialisierte Industrie, die die Kosten erheblich erhöht.
An diesem Beispiel ist klar zu erkennen, wie Umweltaktivisten ernsthafte Innovation im Transportwesen vereiteln. Nein, der neue Schnellzug wird das Nord-Süd-Wohlstandsgefälle nicht lösen, aber eine kürzere Bahnfahrt zu verdammen, wie Wolmar und Umweltschützer es tun, ist gegen die Idee des Reisens an sich. Schon Adam Smith hat erkannt, dass bessere Straßen, Kanäle und schiffbare Flüsse die Kosten einer Fahrt verringern und somit Land und Stadt auf ein Niveau bringen können, also äußerst wichtige Verbesserungen sind. 22
Was für HS2 gilt, gilt auch für britische Flughäfen. Schon heute gehen Direktflüge von China nach Glasgow und Manchester, es gibt also gute Gründe, diese zu weiteren Heathrows auszubauen.
Schlussfolgerungen
Die Globalisierung des Arbeitsmarktes veranlasst alle, von ganz jung bis ganz alt, weite Strecken zurückzulegen. Gleichzeitig werden nicht weniger Kinder geboren, Menschen werden immer älter und tragen immer mehr Gepäck und Einkäufe bei sich. Für viele Menschen kommt laufen oder Fahrrad fahren also nicht in Frage. Regelmäßige, schnelle, zuverlässige und komfortable Fortbewegung ist eine moderne Errungenschaft, die Menschen mit Recht verlangen.
„Verkehr zu verteidigen bedeutet, Freizügigkeit zu verteidigen“
Verkehr zu verteidigen heißt, Freizügigkeit zu verteidigen, also das Recht von Menschen, dorthin zu gehen, wo sie sein möchten. Das ist nicht selten eine Frage von Leben und Tod, etwa wenn Flüchtlinge nach Italien oder Australien zu gelangen versuchen. Verkehr muss international gedacht werden – oder gar nicht.
Der internationale Güterverkehr muss ebenfalls erhalten bleiben. Trotz der verbreiteten Hysterie um Emissionen, die beim Transport diverser Produkte entstehen, sollte uns klar sein, dass die Weltwirtschaft ohne ihn zusammenbrechen würde. Es steht heute schlecht um die Innovation im Transportwesen. 1880 erfand Gustavus Swift in Chicago den Kühlwagen, was die amerikanischen Essgewohnheiten revolutionierte. In den 1980er Jahren galten Frachtcontainer und Roll-on-Roll-off Schiffe (Laster können rein- und wieder rausfahren, es muss also nicht beladen werden) als Zeichen des Fortschritts. Wenige Jahre nach Ende des Kalten Krieges kam der Meinungsumschwung.
1994 verkündeten sieben Professoren, zwei Ritter und ein Fürst, die die Royal Commission on Environmental Pollution in Großbritannien bildeten, dass es nicht mit nachhaltiger Entwicklung vereinbar sei, der Nachfrage nach Luft- und Straßenverkehr entgegenzukommen. Die gelehrten Experten forderten, dass die Umweltkosten eines Fluges sich voll im Preis niederschlagen sollten, um die Nachfrage zu reduzieren.
„Das Vertrauen in die Innovation ist heute verschwunden“
Dem Kapitalismus ist es nie wirklich gelungen, wachsende Nachfrage zu erfüllen, aber zumindest gab es ein Vertrauen in die Innovation, das heute verschwunden scheint. Zumindest wurden neue Straßen nicht mit der Ausrede verhindert, man wolle alte lieber verbessern. Außerdem wurden keine Verhaltensänderungen von Fahrern gefordert, um Treibstoff zu sparen. Heute wünschen sich die Verfechter von „Peak-Car“ das Ende der automobilen Ära herbei. Technik-Enthusiasten meinen, Elektrofahrzeuge würden schon bald all unsere Probleme lösen.
Solche Erwartungen sind utopisch. Doch die schlimmste Idee von allen ist, dass IT für weniger Verkehr sorgen wird. Diese Vorstellung wegen der offensichtlichen Errungenschaften der IT verführerisch. Im Transportwesen wird IT gerne vergöttert, aber auch wenn die neue Apple-Uhr das Auto aufschließen kann, sind wir noch weit davon entfernt, alle Kabel (die zehn Prozent des Gesamtgewichts ausmachen) aus den Autos entfernen zu können. Dieser Tag wird kommen und mag uns sogar geringere CO2-Emissionen bringen. Doch wie an Googles selbstfahrendem Auto erkennbar ist, spielt die heutige Unternehmerschicht lieber mit IT auf Rädern, statt Autos billiger zu machen. Schade, denn davon würden unzählige Familien profitieren.
Innovation im Transportwesen könnte unser Leben revolutionieren, von den Essgewohnheiten bis zum Familienleben. Aber wir sollten auch realistisch sein und Bürokratie und Stillstand verurteilen. Wir brauchen und wollen eine mobile, dynamische Welt. Echte Innovation im Verkehrswesen kann uns dieser Welt näherbringen.
References
1 „2011 Census Analysis: Cycling to work“, Office for National Statistics, 26.03.2014. Zwischen 2001 und 2011 sind die Zahlen derer, die mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren in England und Wales nur geringfügig gestiegen. London, Brighton, Bristol, Newcastle und Sheffield verzeichneten große Steigerungen, die meisten kleineren Stellen nicht.
2 Ivan Illich: „Energy and Equity“, Marion Boyars Publishers 1974.
3 Jack Nilles et al.: „The Telecommunications-Transport Tradeoff: Options for tomorrow“, Createspace 2007 [1976].
4 GCEC: „New climate economy report“, Webseite des New Climate Reports.
5 Michal Lev-Ran: „The End of Driving (as we know it)“, Fortune, 12.06.2014.
6 International Energy Agency: „World Energy Outlook 2012“, IEA.
7 David Batty / Caroline Davis: „Cost of air travel ,must rise to deter people from flying‘“, 09.09.2009.
8 Matt Grote et al.: „Direct carbon dioxide emissions from civil aircraft“ in: Atmospheric Environment 95, Oktober 2014, S. 214–224.
9 Leigh Gallagher: „The end of the suburbs“, Portfolio Penguin, 2013.
10 Adam Millard-Ball / Lee Schipper: „Are we reaching peak travel?“, in: Transport Reviews, 3/2011, S. 357-378.
11 Wilson Flood: „The hydrogen economy – global solution, or pie in the sky?“ in: Energy and Environment, Oktober 2012.
12 International Energy Agency: RD&D Tables, Detailed Country R&D Budgets, IEA-Webseite.
13 Boeing Blog, boeing.com und „ITF Transport Outlook 2013“, OECD.
14 James Beninger: „The Control Revolution: Technological and Economic Origins of the Information Society“, Harvard 1986.
15 Karl Marx: „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie“, Europäische Verlagsanstalt 1967.
16 Derej Aldcroft: „Essays in British transport history“, 1870–1970, David & Charles 1974.
17 Alex Bowden: „Andrew Gilligan calls for more women on bikes to reduce the testosterone level‘“, 15.10.2014.
18 Geschwindigkeit hat JMW Turner inspiriert („Rain, steam, and speed – The Great Western“, 1844), außerdem ist es als Leitmotiv bei heutigen britischen Künstlern zu finden, etwa Richard Wilson („Slipstream“) und Fiona Banner („Harrier and Jaguar“).
19 Karl Marx: „Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie“, Europäische Verlagsanstalt 1967.
20 Alfred Chandler: „The Visible Hand”, Harvard 1977.
21 James Womack / Daniel Roos: „Lean Solutions: „How Companies and Customers Can Create Value and Wealth Together“, Simon & Schuster, 2007.
22 Adam Smith: „Wohlstand der Nationen“,1776.
Good luck to the #farmers on their march today!
I probably don't need to tell you to wrap up warm. But please remember that no part of the UK's green agenda is your friend. All of it is intended to deprive you of your livelihood, one way or another. That is its design.
Brilliant piece by @danielbenami. RECOMMENDED
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