Lasst die Finger von der Mikrogeneration!
Um ihre eigene Energie zu erzeugen, werden Häuser IT brauchen. James Woudhuysen aber fragt sich, ob das überhaupt Sinn macht.
Auf der Webseite von BP prangt ein Kalkulator, mit dem Sie Ihren „Carbon Footprint“ ausrechnen können, also die Anzahl Tonnen CO2, die Sie persönlich (oder Ihr Betrieb) jährlich in die Atmosphäre jagen.1 Dieses nette interaktive Zeitgeistangebot ist einer von vielen Hinweisen auf die zunehmend enge Verbindung zwischen Informationstechnologie und Energiemanagement. Für eine Pilotstudie über den Einsatz „intelligenter Zähler“ und „entsprechender Meldegeräte“ stellte der britische Schatzkanzler Gordon Brown im März fünf Millionen Pfund in den britischen Haushalt ein. Mitfinanziert wird das Projekt von Versorgungsunternehmen auf der Insel.
Auch das Thema „Mikrogeneration“, worunter man die dezentrale Erzeugung von Energie in Wohnhäusern und Arbeitsstätten durch Kraft-Wärmekopplung, Wind oder Solaranlagen zu verstehen hat, ist zunehmend im Gespräch. Wie die deutsche, so mag auch die britische Regierung sich zur Frage der künftigen Nutzung der Atomenergie nicht recht festlegen. Aber sie hat schon verfügt, dass bis 2050 die CO2-Emissionen durch den Einsatz von Mikrogeneratoren um 15 Prozent reduziert und zugleich auch die Abhängigkeit des Landes von fossilen Brennstoffen gemindert werden soll. Schatzkanzler Brown hat schon Fördermittel in Höhe von 50 Millionen Pfund für Investitionen in Mikrogeneratoren in Schulen, sozialen und kommunalen Wohnanlagen, Betrieben und öffentlichen Gebäuden bereitgestellt.2 Unerwähnt blieb in diesem Zusammenhang bislang allerdings, dass die Mikrogeneration auch gehörige Investitionen in IT erfordern wird.
Die angestrebten Emissionssenkungen lassen sich nur realisieren, wenn Verbrauchern die Möglichkeit geboten wird, ihren häuslich erzeugten Strom an Versorgungsunternehmen zu „exportieren“ und den Strom zu dem Preis zu verkaufen, den sie selbst normalerweise dafür zahlen. Immerhin war das Wirtschaftsministerium, das im März seinen Energiebericht „Our energy challenge“ vorlegte, ehrlich genug einzuräumen, dass Haushalte drei getrennte Messgeräte für die Sammlung der Daten über Import, Export und Erzeugung ihrer Elektrizität benötigen werden, damit das überhaupt funktionieren kann. Das gilt natürlich genauso für Arbeitsstätten. Seit kurzem ist in der Grafschaft Kent die Installation von Wasseruhren in jedem Haushalt vorgeschrieben. Sollte sich der Einsatz von Mikrogeneratoren sowohl in Privathaushalten als auch in Betrieben und Büros tatsächlich verbreiten, wären gewaltige Mengen „intelligenter“ Mess- und Meldegeräte für die Verwaltung der so erzeugten Energie erforderlich.
Und das wäre für IT-Anbieter wohl eine wahre Goldgrube, denn die Umsetzung dieses Konzepts für die Rettung des Planeten würde nicht nur massenhaft Hard- und Software sowie Datenmanagementdienste für die Stromverwaltung in Wohnungen und Betrieben erfordern. Bei den Energieversorgern entstünde auch enorme Nachfrage nach professionellem Support bei der Umsetzung neuer landesweiter Datenverwaltungssysteme und -prozesse. Doch fragt sich, ob diese Aussichten für die IT-Branche wirklich so verheißungsvoll sind, wie es auf den ersten Blick scheinen mag.
Der Bericht „Our energy challenge“verdeutlicht nämlich, dass das Engagement der Politik für die Mikrogeneration überwiegend von der Absicht motiviert ist, erzieherische Wirkungen bei den Bürgern zu erreichen.3 Wenn Kinder erst einmal den Betrieb von Mikrogeneratoren in den Schulen erleben, so das Wirtschaftsministerium, könne dies ihr künftiges Verhalten prägen, „vielleicht sogar das der Eltern“ und so die „erwünschte kulturelle Änderung herbeiführen“.4 Starke Anerkennung zollt das Ministerium einer Studie der Beratungsagentur Hub Research Consultants über die Ergebnisse eines Modellprojekts, in dem drei Schulen und ca. 20 Haushalte mit Mikrogeneratoren ausgerüstet wurden. Begeistert hatten die Verfasser der Studie beobachtet, dass zwar manche der Mikrogeneratoren nur „sehr geringe“ Energiemengen erzeugt hätten, „beachtlich“ seien aber dennoch die „Auswirkungen auf das Verhalten in Hinblick auf Energiebewusstsein und Energieeffizienz“ gewesen. Diese „qualitativen“ Effekte der Mikrogeneration können, wie die Studie erfreut vermeldet, „sehr bedeutend sein und geben dem Energieverbrauch eine lebende, atmende und emotional ansprechende Anmutung“.5
Wie charmant. Die Vorstellung, dass Menschen – oder Unternehmen – Strom an die nationalen Netzbetreiber zurückverkaufen, erinnert indes stark an Margaret Thatcher, die einst vorschlug, wir sollten doch alle einfach die Wäsche unserer Nachbarn waschen oder sonst wie Kleinunternehmer werden.6 Genauso unwirtschaftlich, moralistisch und autoritär sind die aktuellen Pionierprojekte für erneuerbare Energien inklusive IT.
IT-Anbieter sollten sich daher gut überlegen, ob es tatsächlich erstrebenswert ist, sich als willige Helfer für Volkserziehungsprojekte zu kompromittieren, die bloß Verwirrung, Enttäuschung und Unmut stiften werden!
Aus dem Englischen übersetzt von Sabine Reul.
Anmerkungen
1 Einen einfachen Kalkulator für daheim gibt’s bei www.climatecare.org.
2 HM Treasury, Budget 2006, 22.3.06, S.158, Abs. 7.29., www.hm-treasury.gov.uk/budget.
3 DTI, op cit, S. 8.
4 ebd., S. 4, 10.
5 ebd., S. 8, Zitat aus: „Hub Research Consultants, Seeing the Light: the impact of micro-generation on the way we use energy“, Oktober 2005, S. 10, http://sd-commission.org.uk/publications.php?id=239.
6 Rundfunkinterview mit dem British Forces Broadcasting Service, 21.11.84, http://www.margaretthatcher.org/speeches/displaydocument.asp?docid=105794.
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